Reportage
Befreiungsschlag
- Eine Reportage von Laura Neugebauer
„Es geht nicht um Sex. Es geht um die Befreiung von Scham.“ So erklärt Tiff, nebenberuflich Domina und Hauptperson der neuen Netflix-Serie „Bonding“ ihre Arbeit. In audio-visuellen Medien, hat das Spektrum rund um Bondage und sadomasochistische Spiele (BDSM) seit „Fifty Shades of Grey“ einen festen Platz eingenommen. Doch wie sieht BDSM in der Wirklichkeit aus? Geht es wirklich nur um den Abbau von Anspannung?
Ich bin in Mönchengladbach mit Harald Griese verabredet. Er betreibt seit etwa 15 Jahren ein Hostel für BDSM-Anhänger. In drei Räumen haben Paare und eventuelle Begleitungen hier die Möglichkeit ihre Fantasien auszuleben. Mitten in einem Wohngebiet steht ein rotes Einfamilienhaus. Der Garten ist komplett eingezäunt. Ich höre das leise, unschuldige Vogelzwitschern. Es kommt mir fast ein wenig paradox vor.
In der Einfahrt zum Haus erwartet mich vor allem eines:
Die Sicherheitsanlage. Kameras, kleine Scheinwerfer, ein Schild, das Einbrecher, Sprayer und Pöbler warnen soll.
Ob die Inhaber so einer Einrichtung öfters mit solcherlei Problemen zu tun haben?
H. Griese erzählt mir, er habe die Kameras bereits seit Jahren.
Ein Rechtsstreit mit einem ehemaligen Nachbarn sei nicht immer sauber abgelaufen. Deswegen sah er sich damals gezwungen, sein Grundstück im Auge zu behalten.
Wir gehen durch einen Hintereingang ins Haus.
Der Boden, mit schwarzem Teppich ausgelegt, und das Treppengeländer
aus Metall-Ketten bereiten mich nicht im geringsten auf
das vor, was mich erwartet. Er führt mich ins Dachgeschoss.
Als wir die Wohnung betreten, wirkt alles noch sehr normal.
Die kleine Einbauküche, mit Mikrowelle und Wasserkocher ist schön hell.
Zwischen den schwarzen Ledersesseln steht ein kleiner Glastisch
mit einem Käfig statt Tischbeinen.
Ein dezenter Hinweis? Um mir den Hype um die BDSM-Szene zu erklären,
will ich vor allem wissen, was ihn an „Fifty Shades of Grey“ stört.
Immerhin ist öffentlich bekannt, dass die Autorin noch nie zuvor ein SM-Studio
betreten hat.
„Seit diesen Filmen kommen auch einige BDSM-Neulinge in
mein Hostel, um sich auszuprobieren.
Dabei ist Shades of Grey schlicht und einfach viel zu fantasievoll.
Ein junger, attraktiver Millionär, der eine
Frau dafür bezahlt, ihm das zu geben, was er möchte. Das ist mehr Märchen
als Realität. Davon mal abgesehen ist die BDSM-Szene in keinster Weise so dargestellt, wie sie wirklich aussieht.“
Um mir das zu verdeutlichen, betreten wir den ersten Raum.
Bei mir tritt zum ersten Mal ein Gefühl der Scham und der Beklommenheit auf.
Rote Wände, eine schwarze behangene Decke sowie diverse schwarze Möbel,
die eher an Folter erinnern, als an ein Schlafzimmer.
In dem gedämmten Licht fällt mir zu erst die mit Leder bezogene Pritsche auf.
Alles sieht sehr hochwertig verarbeitet aus. H. Griese berichtet mir,
dass er alle Möbel selber baut und diese auch an andere SM-Studios verkauft. Neben der Pritsche befinden sich diverse Fessel-Möglichkeiten,
Peitschen, eine Art Pranger und ein lederner Thron.
Die anderen Räume bestehen aus einem Klinik-Zimmer,
mit einem Gynäkologenstuhl und einem Krankenbett, und einem dunklen
Raum, in dem ein großes Doppelbett mit einer lederbezogenen Matratze
steht.
In Herrn Grieses Hostel mieten sich ausschließlich Privatleute ein.
Dominas dürfen hier nicht ihren Berufen nachgehen.
Herr Griese erklärt mir außerdem, dass Dominas für gewöhnlich keinen Sex anbieten. Er findet, dass die Dienste einer Domina nicht mit denen einer Prostituierten vergleichbar seien.
Er sagt, es gehe um den Abbau von Stress, darum Kontrolle abzugeben.
Nach allem, was ich gesehen habe, bin ich allerdings nicht davon überzeugt,
dass Fesselspiele und Schläge zu irgendeiner Art Befreiung führen.
Vielleicht schafft es Kathi, mich zu überzeugen.
Kathi trifft sich mit mir am Rhein.
Sie ist Mitte 20 und hauptberuflich Domina in einem Studio in Köln.
Ihr Angebot wird hauptsächlich von Männern zwischen 30 und 60 Jahren
genutzt. Die meisten von Ihnen sind Akademiker aus hohen Positionen.
Heißt viel Verantwortung also ein größerer Drang dazu, auch einmal
Kontrolle abzugeben? Von Frauen wird Kathi nur selten gebucht. Kathi
sieht im Gegensatz zu Herrn Griese keinen Unterschied zwischen ihrem
Beruf und dem einer Sex-Arbeiterin. „Letztendlich wird auch hier eine
Fantasie verkauft. Ob jetzt Geschlechtsverkehr mit eingebunden ist oder
nicht ist irrelevant. Ich verkaufe mich und meinen Körper genauso für
sexuelle Fantasien wie eine Prostituierte auch. Das Klischee einer
Domina, die den ganzen Tag nur auspeitscht verkehrt.
So sieht der Alltag gar nicht aus. Es geht viel um Fetische.
Es geht schon auch um Schmerz, dass gehört auch irgendwo dazu,
aber bei vielen Kunden geht es vor allem um die Beziehung,
die man mit der Zeit aufbaut. Als Domina braucht man enorm viel Empathie,
um in die Psyche des Gegenübers einzudringen.“,
erklärt sie mir. Kathi gibt ihren Kundinnen und Kunden also die
Möglichkeit, sie selbst zu sein. Das Gespräch mit Kathi schenkt mir einen
ganz neuen Eindruck.
Langsam scheine ich zu begreifen, worin die
Befreiung in der Unterwerfung steckt. Die sogenannten „Spiele“, sind also
eine Art Befreiungsschlag der innersten Psyche.
Wichtig ist hierbei vor allem, dass die Grenzen des unterwürfigen Parts
immer eingehalten werden.
Denn während Christian Grey in den Büchern
nicht immer die Grenzen seiner devoten Partnerin einhält, wird in der
Realität jede Grenze eingehalten.
Und auch wenn ich mich damit wohl nie identifizieren können werde,
verstehe ich nun das „Bonding“- Zitat von Tiff.
„Es geht nicht um Sex. Es geht um die Befreiung von Scham.“
- Eine Reportage von Laura Neugebauer